Sicherheit in München
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Sicher ist nur das Spektakel

Da ist er also, der Zaun. Maschendraht, gespannt an Drahtseilen, einmal um die komplette Theresienwiese herum. Den Zugang zum Oktoberfestgelände beschränkt er auf die offiziell ausgewiesenen Eingänge, an welchen dieses Jahr zum ersten Mal Einlasskontrollen stattfinden sollen. Daher hatte ich meinen Mitarbeiterausweis bereits am Vorabend des ersten Wiesn-Samstages auf dem Gelände abgeholt. Alle auf dem Oktoberfest Beschäftigten haben dieses Jahr einen solchen Ausweis bekommen: Scheckkartenformat, mit Lichtbild, Arbeitgebername und Ausweisnummer. Wozu uns dieser Ausweis berechtigt: Erstmals gibt es drei eigens geschaffene Personaleingänge zum Oktoberfest, welche nur die Mitarbeiter_innen benutzen dürfen. Zudem berechtigt er uns dazu, entgegen der anderen Oktoberfestbesucher_innen auch Taschen und Gepäck mit einem Volumen von mehr als drei Litern mitzuführen.

Ich bin an diesem ersten Wiesn-Samstag mit einem großen Zeitpuffer zu meiner 11-Uhr-Schicht aufgebrochen, denn ich habe die Befürchtung, vor allem am ersten Tag wegen der Kontrollen mit längeren Wartezeiten an den Eingängen konfrontiert zu werden. Ich will den Eingang Goetheplatz nehmen – der kein Personal- sondern ein allgemeiner Eingang ist. Dort angekommen, sehe ich im Gewimmel der Menschenmasse schwarz gekleidete Securities mit gelben Warnwesten nebeneinander aufgereiht. Sie stehen jeweils nur eine Armlänge voneinander entfernt. Inmitten der andrängenden, Tracht tragenden Besucherströme wirken sie weniger respekteinflößend als von mir erwartet.

Übermäßig viele sicherheitsrelevante Handlungen scheinen sie ebenso wenig durchzuführen. Gelegentlich wird eine Person gebeten, ihre Tasche zu öffnen oder ihre Jacke auszuschütteln. Ich gehe einfach durch die Reihe der Sicherheitskontrolleur_innen durch, ohne meinen Mitarbeiterausweis zu zeigen oder auch nur danach gefragt zu werden. Von meinem sicherlich mehr als drei Liter fassenden Rucksack nehmen sie ebenfalls keine Notiz. So kann ich meinen Weg zum Ofenkartoffel-Verkaufsstand, der nun für zwei Wochen mein Arbeitsplatz ist, unbeirrt fortsetzen.

Ganz andere Erlebnisse werden mir später von Jaqui1 berichtet, einer der Bedienungen vom Löwenbräu-Zelt gegenüber unseres Standes. Teile der Löwenbräu-Belegschaft zählen zu unseren Stammgästen: Sie kommen regelmäßig in ihren Pausen zu unserem Stand, um sich bei uns mit Federweißem, Ofenkartoffeln und einem „Personalgetränk“, das wir nur für ebendiese Stammgäste bereitstellen, zu stärken. Jaqui hat an diesem Morgen das Festgelände zusammen mit zwei anderen Bedienungen über den Personaleingang oberhalb der Bavaria betreten wollen.

Wie jedes Jahr hatten die drei im Vorfeld eingekauft, um sich und weitere Kolleginnen für die Dauer der Wiesn auszustaffieren: Mehrere Paletten Redbull sowie Rucksäcke voll Prosecco und Sekt werden als Vorrat am ersten Oktoberfest-Tag mitgenommen. Die Securities am Personaleingang hätten ihnen aber wegen dieses Gepäcks zunächst den Durchgang verweigert und ihnen jegliche Dosen und Flaschen abnehmen wollen, erzählt die sonst so routinierte Jaqui verärgert und abfällig. „Meine Mädels und ich, wir brauchen das, wie stellt’s ihr euch sonst vor, dass wir die zwei Wochen durchhalten. Ich nehm des jetzt mit!“, habe sie zu den Sicherheitskräften gesagt. Sie habe so lange mit den ihrer Beschreibung nach schlecht geschulten, teils sehr jungen Sicherheitsmännern diskutiert, bis einer der älteren schließlich mit dem Kopf genickt und „Jetz geht’s scho’ durch“ gezischt habe. Auch ich habe am selben Vormittag einen Likör für die Kolleg_innen in meinem nicht kontrollierten Rucksack transportiert.

Weitere Löwenbräu-Stammgäste erzählen mir und meinen Kolleg_innen im Verlauf des Tages von Schwierigkeiten beim Einlass, vor allem am Personaleingang Bavariaring. Einigen sind Alkoholika, aber auch andere Getränke abgenommen worden oder sie haben diese erst nach langer Diskussion mit den Securities mit aufs Gelände nehmen dürfen. Manche Sicherheitskräfte hätten nicht einmal gewusst, dass es so etwas wie einen Personalausweis gebe oder dass es dem Personal von der Wiesn-Aufsicht aus offiziell erlaubt ist, mehr als nur drei Liter fassendes Gepäck mitzunehmen. Die meisten sind sehr aufgebraucht und fühlen sich ungerecht behandelt.

Am zweiten Tag treffe ich auf dem Weg von der U-Bahn zum Festgelände Sabsi, eine andere befreundete Löwenbräu-Bedienung. Wegen den Schilderungen der Probleme unserer Kolleg_innen holen wir unsere Mitarbeiterausweise vorsichtshalber schon griffbereit aus den Taschen, als wir uns dem Eingang Goetheplatz nähern. Stattdessen einen der weiter entfernten Personaleingänge zu wählen, würde für uns beide einen zeitintensiven Umweg darstellen. Unsere Arbeitsplätze liegen direkt hinter diesem Eingang und auf den verstopften Straßen innerhalb des Festgeländes ist kein schnelles Fortkommen möglich. Wir können trotz Rucksäcken jedoch genauso problemlos ohne Taschenkontrolle passieren, wie ich bereits am ersten Morgen. Die Sicherheitskräfte winken uns einfach durch, ohne nach Ausweisen zu fragen.

Später am Tag wird mir dann noch bewusster, wie willkürlich Taschen durchsucht, Personen kontrolliert und Einlass ge- bzw. verwehrt wird. Unsere Ofenkartoffelstand-Mitarbeiterin Annika kommt zu spät zu ihrer Schicht. Sie wirkt aufgelöst und etwas aufgebracht, eine Haarsträhne hat sich aus ihrer Frisur gelöst. Man habe sie am Eingang Goetheplatz nicht mit ihrer Handtasche durchgelassen, obwohl sie gleich ihren Mitarbeiterausweis vorgezeigt habe, sondern habe sie auf den Personaleingang mehrere 100 Meter weiter nördlich verwiesen. Dort habe sie schließlich mit ihrer Handtasche, die noch durchsucht worden sei, passieren dürfen. Der Umweg hat sie über eine Viertelstunde gekostet – vor allem weil vom nordöstlichen Personalausgang aus kein direkter Weg über das Festgelände zu unserem Stand führt. Mir entzieht sich die Rationalität dieser Anweisung.

Anscheinend ist der Mitarbeiterausweis weniger eine exklusive Berechtigung zur Benutzung der Personaleingänge als vielmehr eine indirekte Beschränkung auf die Benutzung dieser lediglich drei Zugänge. Annikas Handtasche ist halb so groß wie der Rucksack, mit dem ich bisher immer problemlos passieren konnte. Zudem passen meiner Meinung nach allerhöchsten drei Liter in das Umhängetäschchen. Getränke, Flaschen oder sonstige zu beanstandende Gegenstände hat sie nicht dabei. Unser Chef kommentiert den Vorfall mit den Worten, wir sollten ab jetzt lieber gar nicht erst unseren Ausweis zeigen. Dann würde man uns auch nicht zum Personaleingang kommandieren und normale Besucher würden sowieso freundlicher behandelt.

Diese unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Zugang oder der Zugangsverweigerung zum Festgelände lassen weniger ein einheitliches Kontroll-System, sondern vielmehr eine große Willkür erkennen. Während selbst große Rucksäcke an den allgemeinen Eingängen häufig durchgewunken werden, scheinen die Privilegien des Mitarbeiterausweises nicht einmal am Personaleingang sicher zu gelten. Gewiss bleibt nur das Grenzspektakel, die spektakuläre Umgrenzung des Oktoberfestes, selbst.

 

Mona Bergmann

 

 

Literatur

1 Alle Namen wurden zur Anonymisierung der Personen geändert. (weiterlesen)