Das Spiel dauert länger als 90 Minuten
Wie sich Zwei- und Vierbeiner für den Einsatz bei Fußballspielen vorbereiten
© Foto: Benjamin Kis
„Links bricht ab, Marsch!“ – „Rechts bricht ab, Marsch!“ Der Regen wird stärker und ist mittlerweile gefühlt bis zu den Knochen vorgedrungen. Der Sandplatz weicht langsam auf. „Rechtsrum, Marsch!“ Die klaren, lautstarken Befehle des Reitertruppführers sind trotz der herabfallenden Wassermassen unüberhörbar. Die Reiter_innen übersetzen seine Befehle in nonverbale Kommandos wie Zügelspiel, Gewichtsverlagerung und Beinarbeit, welche von den Pferden anstandslos befolgt werden. Diese scheinen das Prozedere zu kennen, wirken jedoch nicht abwesend: Die Ohren sind aufmerksam gespitzt, die Blicke hellwach und sie scheinen motiviert. Pferd und Reiter_in stimmen sich auf diese Weise ein, schärfen ihre Sinne für ihr Umfeld, ihre_n (nicht)menschliche_n Partner_in und das Bevorstehende. Und plötzlich Stillstand. Ruhe.
Ich befinde mich auf dem Gelände der Münchner Reiterstaffel in Daglfing, wo heute ein Training zum Thema Fußballeinsatz stattfindet. Dabei wird jungen Bereitschaftspolizist_innen, die als Hundertschaft unter anderem vor Fußballstadien zum Einsatz kommen, der dienstliche Umgang mit Pferden nähergebracht. Im Rahmen ihrer beruflichen Laufbahn werden sie mit diesen häufig, insbesondere bei der (Ver)Sicher(heitlich)ung von Fußballspielen, zusammenarbeiten. Der Ausbildungsleiter der Reiterstaffel erläutert zu Beginn geduldig den vor ihm versammelten Kolleg_innen grundlegend Wissenswertes – von den Fellfarben und ihren Bezeichnungen, beispielsweise Fuchs, Schimmel oder Brauner, bis hin zum Auswahlprozess bei der Reiterstaffel: Es wird deutlich, dass für ihn das Tier weit mehr ist als ein nützlicher Untersatz mit einer Pferdestärke. Schlussendlich bietet er Freiwilligen an, sich nach dem Training auf eines der Pferde zu setzen, um ein Gefühl für dieses Lebewesen und das erhöhte Sitzen zu erhalten.
Ziel des in dieser Form regelmäßig stattfindenden Trainings ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Beamt_innen der Bereitschaftspolizei und der Reiterstaffel, die aufgrund des Faktors Tier besonderes Vorgehen erfordert, zu optimieren: Wie agieren die Kolleg_innen zu Fuß bzw. zu Pferde? Wie verhalten sich die vierbeinigen Kolleg_innen, was geht in ihnen vor und wie tritt man ihnen gegenüber? Welcher Umgang ist angemessen? Was kann von jeder Akteursgruppe erwartet werden? Ebenso ist diese Übung ein wichtiger Teil im Lernprozess der Pferde, die an das gewöhnt werden, was sie ‚draußen’ jederzeit erwarten kann und was sie dann nicht mehr verängstigen sollte. Es sind folglich nicht nur unerfahrene Bereitschaftspolizist_innen, sondern auch neue (nicht)menschliche Mitglieder der Reiterstaffel, die auf den Ernstfall vorbereitet werden.
Nun beginnt der eigentliche Teil der Übung. Zu Anfang stehen die Beamt_innen der Reiterstaffel in einer Reihe all ihren Kolleg_innen der Bereitschaftspolizei, die Kleingruppen bilden und damit eine bei Großereignissen vorherrschende Menschenmenge imitieren, gegenüber. Durch die Reihenformation zeigen die Polizeireiter_innen bei Einsätzen vor Stadien Präsenz und bewahren zugleich einen breiten Überblick.
Als eine weitere Übung durchquert und umkreist die Reiterstaffel die Gruppen, um möglichst reale Geschehnisse, wie sie rund um ein Fußballspiel im Zuge der Fantrennung stattfinden könnten, für alle Teilnehmer_innen nachzuahmen. Alle menschlichen und nichtmenschlichen Akteur_innen scheinen dabei entspannt zu sein. Als die Reiter_innen wieder zum Stehen kommen, suchen die Polizist_innen der Bereitschaftspolizei den direkten Kontakt zu den vierbeinigen Kolleg_innen, streicheln die Tiere und machen Fotos mit dem Handy. Dies geschieht unabhängig von der expliziten Übungssituation, vielmehr geht es dabei um ein generelles Kennenlernen. Es wird gelacht, gescherzt und miteinander gesprochen, die allgemeine Stimmung wirkt locker und gelöst, was sich auch auf die Pferde überträgt – sie stehen ruhig auf der Stelle, kauen entspannt auf ihren Trensengebissen und strecken ihre Hälse entspannt gen Boden. Als nächstes treiben die Polizeireiter_innen die Beamt_innen am Boden im Trab vor sich her, was diese zum Lachen bringt. Was aussieht wie ein Spiel, ist bei Einsätzen häufig ernste Realität, wenn die Reiterstaffel aggressionsgeladene Fangruppierungen zu trennen hat.
Agierte die Hundertschaft bisher als eine Gruppe, wird sie nun in zwei Züge aufgeteilt: Die sogenannten ‚Störer’ mögliche Unruhestifter_innen und potentielle Gefahrenquellen unter den Fans, wie sie bei Fußballspielen in der Allianz Arena und dem Grünwälder Stadion meist zugegen sind. Der andere Teil stellt einen polizeilichen Einsatzzug dar. Darüber hinaus befinden sich elf Polizeireiter_innen auf dem Platz, die sich zwischen ‚Störern’ Einsatzzug bewegen. Die ‚Störer’ erhalten nun große Fahnen und im weiteren Verlauf Ratschen, um insbesondere die Pferde auch an akustische sowie visuelle Herausforderungen zu gewöhnen.
Gemäß ihrem natürlichen Instinkt würden diese schreckhaften Herden- und Fluchttiere in solchen Situationen für gewöhnlich das Weite suchen. Bei Lernprozessen innerhalb der Reiterstaffel (wie auch bei dem beschriebenen Training) gilt deshalb das Credo ‚Erfahrene helfen Unerfahrenen’: Junge Pferde werden von erfahrenen Reiter_innen an das herangeführt, was sie im Einsatz erwartet. Zusätzliche Orientierung geben ihnen dienstältere Artgenoss_innen, die ebenso jungen Polizeireiter_innen den Start in der Reiterstaffel erleichtern. Dies scheint, wie sich während der Übung immer weiter herauskristallisiert, eine erfolgreiche Strategie zu sein: Die wenigen Momente der Unsicherheit sind schnell behoben: So kann beispielsweise ein Pferd, das sich seinem Reiter kurzzeitig widersetzt und scheut, rasch wieder von diesem und der Gruppendynamik seiner Artgenossen beruhigt werden. Einzig das junge Pferd Lancelot verhält sich generell schreckhafter und angespannter als der Rest der Gruppe und wird daher von einer der erfahrensten Reiterinnen der Staffel geritten – sie verlässt das Training vorzeitig, um dem Tier einen positiven Abschluss zu vermitteln, keinen zu großen Druck aufzubauen und den Gewöhnungsprozess schrittweise durchzuführen. Da der Regen im Verlauf des Trainings irgendwann einer Sintflut gleicht, wird die Übung schließlich insgesamt etwas früher als geplant beendet.
Reflexion
Das Training habe ich rückblickend als stressfrei wahrgenommen. Die vermeintlichen Vorteile, die die Zusammenarbeit mit dem Tier mit sich bringt, wurden offenkundig: Polizeireiter_innen besitzen im Gegensatz zu ihren Kolleg_innen am Boden einen besseren Lageüberblick, zeigen eine deutlichere Präsenz, was insbesondere im Bereich der Prävention von Bedeutung ist, und bilden mit dem Tier eine stattliche Einheit, die dem polizeilichen Wirken beispielsweise in Tumulten vor Fußballstadien stärkeren Nachdruck verleiht. Die Rollenzuweisung der sogenannten ‚Störer’ im Zuge der Übung deutet auf eine vorausgehende Etikettierung der realen Fans je nach Gefährdungspotential hin. Und um das von jener Gruppe möglicherweise ausgehende Risiko zu minimieren, fungieren Polizeireiter_innen vor allem bei Einsätzen vor Fußballstadien als lebendige, frei bewegliche Mauern – das Polizeipferd dient hierbei hauptsächlich als physische Erweiterung des menschlichen Körpers.
Ebenso stellt dieses speziesüberschreitende Zusammenwirken die Polizei vor Herausforderungen, wenn es gilt, interspezifische Kommunikation, arttypische Eigenheiten sowie unumstößliche Dienstanforderungen in Einklang zu bringen und in erfolgreicher Polizeiarbeit resultieren zu lassen. Insbesondere mittels stetig stattfindenden Gewöhnungsprozessen für Mensch und Tier wird diese besondere Form der professionellen Kooperation trainiert, wie im Rahmen der vorhergehend beschriebenen Übung zum Thema Fußballeinsatz. Hier trat, meinem Eindruck nach, auch die Wirkung der verschiedenen Akteure aufeinander zutage: Gerade für die jungen Pferde gab es bei diesem Training gewiss irritierende und furchteinflößende Situationen, aber die Polizeireiter_innen zeigten sich souverän – und vor allem besonnen.
Dies wirkte sich auch auf das nichtmenschliche Verhalten aus: Pferde sind überaus empfindsame, empathische Tiere und man sagt ihnen nach, dass sie die Gefühlslage ihrer Reiter_innen zu jeder Zeit spüren. Ist er_sie entspannt, überträgt sich seine_ihre Ruhe folglich auch auf das Tier. Darüber hinaus spielte es sicher eine zentrale Rolle, dass keines der Tiere auch nur für einen Moment von seinen Artgenoss_innen getrennt wurde. Auf den Herdeninstinkt des Pferdes scheint penibel geachtet zu werden. Mehr noch: Die Reiterstaffel München hat zwanzig fußballtaugliche Pferde vorzuweisen, der Rest schafft es vom Nervenkostüm her nicht und wird anderweitig eingesetzt, was als Eingeständnis an das Individuum Pferd und Form tierlicher Agency gedeutet werden kann.
Hinsichtlich der Hundertschaft stellen sich auch kritische Fragen: Nehmen sie die Polizeireiter_innen und ihre Tiere als ebenbürtig und für die polizeiliche Arbeit bedeutsam wahr? Oder belächeln sie ihre Kolleg_innen in den Reithosen und -stiefeln? Ist das Pferd für sie im Dienst ein Lebewesen, das ebenso Respekt verdient wie ein_e menschliche_r Kolleg_in, oder doch vielmehr ein Mittel zum Zweck? Gemäß meinen Beobachtungen traten die Bereitschaftspolizist_innen der Reiterstaffel offen und freundlich gegenüber. Auch wenn die Stimmung gelegentlich an einen Ausflug auf den Reiterhof erinnerte, wurden die Polizeireiter_innen doch mit viel Respekt behandelt. Gegenüber der Pferde würde ich das Stimmungsbild als ambivalent bezeichnen. Manche wurden von den keineswegs zierlichen Tiere etwas eingeschüchtert, andere bedachten sie mit verniedlichenden Streicheleinheiten, wiederum andere zollten ihnen augenscheinlich den Respekt, der ihnen als vollwertiges Polizeimitglied zustehen mag, oder beachteten das Tier selbst nicht weiter und hatten stattdessen das große Ganze im Blick. Zu Letzteren passen auch die Worte des Leiters der Hundertschaft nach dem Training, welcher den Nutzen und die Daseinsberechtigung der Reiterstaffel im Allgemeinen in den höchsten Tönen lobte – die Pferde hierbei aber auf ein ‚gutes Mittel zum Zweck’ reduzierte.
© Foto: Benjamin Kis
Laura-Louise Gettmann