Sicherheit in München
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„The Inside(rs) Job“

 Ich war aufgeregt, hatte ich doch keinerlei Ahnung, was mich erwartete, lediglich der Ort und die Uhrzeit des Treffens des 'Aktionsbündnis gegen die sogenannte Nato-Sicherheitskonferenz' waren mir bekannt. Ich betrat einen kalten, fast schon klinisch wirkenden Raum des Eine-Welt-Hauses, der lediglich mit Tischen und Stühlen gefüllt war. Um die rechteckig angeordneten Tische saßen 20 Personen, größtenteils fortgeschrittenen Alters, die bereits in eine Besprechung vertieft waren. Peinlich berührt, da ich mich offensichtlich verspätet hatte, ließ ich mich still auf einem freien Stuhl nieder. Die restlichen Teilnehmer_innen ließen sich davon nicht unterbrechen. Bis auf einige neugierige Blicke wurde ich vollkommen ignoriert und verfolgte wortlos Tagesordnungspunkt um Tagesordnungspunkt.

Protestieren! Aber wie?

Grundsätzlich ging es um die Organisation der Protestaktionen gegen die Sicherheitskonferenz. Da die Planung zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten war, entfalteten sich Diskussionen oft anhand grundlegender politischer Ansichten oder Kleinigkeiten, die bis ins Detail ausgehandelt wurden. Beispielsweise wurde besprochen, inwiefern man der Vorgabe der Polizei über Transparente auf Großdemonstrationen nachgeben sollte. Die neuen Auflagen bezogen sich auf die Einschränkung der Maße eben dieser Seitentransparente und der Anweisung, diese nicht mehr miteinander verknoten zu dürfen. Nachdem man einen Konsens gefunden hatte, diese Vorgabe zu erfüllen und an die Demonstrationsteilnehmer_innen weiter zu vermitteln, da die gesamte Protestaktion sonst Gefahr laufe, abgesagt zu werden, wurde trotzdem noch eine gute halbe Stunde darüber weiter diskutiert.

Es drehte sich vor allem darum, wie man eine systemkritische Haltung und eine Kooperation mit staatlichen Institutionen vereinbaren könne. Die Diskussion artete teilweise in verbalen Angriffen auf einzelne Anwesende aus. Solche Angriffe verwunderten mich stark – hatten doch alle aus Gründen der Durchführbarkeit der Demonstration eben dieser Kooperation zugestimmt.

Dabei gestalteten lediglich drei Personen den Großteil der Beiträge – zwei ältere Männer jenseits der 60 und eine junge Frau Anfang 20. Diese drei – so schien es mir jedenfalls – vertraten grundsätzlich gegensätzliche Positionen und wurden hin und wieder von anderen Teilnehmer_innen unterstützt, die in deren unmittelbarer Nähe saßen. Fast schon bereute ich es, hierher gekommen zu sein. Doch endlich – nach vollen drei Stunden Sitzung – hatte ich es überstanden und stand kurz davor, mich wortlos davon zu stehlen.

Die Zigarette danach

Als ich schon meine Jacke angezogen hatte und halb durch die Türe war, sprach mich doch noch jemand an. Es war ein junger Mann in meinem Alter und er fragte mich, lässig eine Zigarette drehend, von welcher Organisation ich denn sei. Als ich ihm den Grund meiner Anwesenheit nannte – ich gab erst persönliches und schließlich auch wissenschaftliches Interesse an – hellte sich seine Miene auf. Nach einigen interessierten Nachfragen dreier weiterer, inzwischen hinzugekommener jüngerer Sitzungsteilnehmer_innen, entschied ich mich dazu, ihnen wenigstens für eine Zigarette Gesellschaft zu leisten.

Nachdem wir in eine angeregte Unterhaltung über unsere jeweiligen Studiengänge und politischen Ansichten verfallen waren, beschlossen wir, unsere Konversation in die Kneipe des Eine-Welt-Hauses zu verlegen. Dort lockerte sich die Stimmung nach der langwierigen Sitzung mithilfe von etwas Bier auf. Schließlich entschloss ich mich, mir meine vorigen Beobachtungen während des Treffens von meinen Gesprächspartner_innen erläutern zu lassen. Sofort wurde mir erklärt, dass innerhalb des Aktionsbündnisses klare Hierarchien herrschten, die sich aufgrund der langen Mitgliedschaft einzelner Personen seit über 20 Jahren herausgebildet hatten, und die man – aus der Perspektive meiner jüngeren Gesprächspartner_innen – dringend aufbrechen müsse.

Dabei beanspruchten die beiden älteren Männer, die ich zuvor als aktive Diskussionsteilnehmer beobachtet hatte, aufgrund ihres langjährigen Aktivismus die Spitzenposition. Die jüngeren Mitglieder_innen seien hingegen am unteren Ende der Hierarchie angesiedelt, wogegen sich diese jedoch heftig zu wehren versuchten. Aufgebracht wurde mir berichtet, dass das Aktionsbündnis gerade deswegen extreme Nachwuchsschwierigkeiten hätte und viele Mitglieder_innen in den letzten Jahren aufgehört hätten. Die nun offensichtlich gewordene Antipathie einzelner Teilnehmer_innen gegeneinander weckte mein Interesse und es wurde schnell deutlich, dass für meine Gegenüber auch mit mir als Außenseiter Gesprächsbedarf zu diesem Thema bestand.

Fazit?

Volle drei Stunden wurden mir die ihrer Ansicht nach unfairen Verhältnisse an Beispielen verdeutlicht und langsam dämmerte mir, dass das 'Aktionsbündnis gegen die sogenannte Nato-Sicherheitskonferenz' mindestens ebenso sehr mit internen Machtkämpfen wie mit der Organisation der Protestaktionen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz beschäftigt war.

Um Erlebtes und Beobachtetes verstehen und deuten zu können, brauchen wir oft die Erklärungen von Insidern, da wir als „Fremde“ in einer neuen Umgebung, in diesem Fall einer bestimmten Gruppe keine Einsicht in die „Spielregeln“ haben.

 

Bastian Nachtmann