Sicherheit in München
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„Wer weiß denn jetzt noch wie Terroristen aussehen...“

Eine Busfahrt in München nach Amoklauf und Oktoberfest

 

Es ist früher Nachmittag und seit wenigen Tagen haben die Münchener die Wiesnzeit überstanden. Ich stehe am Goetheplatz und warte auf den Bus in Richtung Hauptbahnhof. Die Nachwehen des Ausnahmezustandes sind in der Stadt noch zu spüren, besonders hier. Ich bin zwar nicht spät dran, krame aber bereits nach meinen Unterlagen und dem Passierausweis bis der Bus an der Haltestelle hält. Der Linienbus ist beinahe voll besetzt und es steigen auch hier vermutlich gut ein dutzend Menschen ein. Ich bin in Gedanken versunken und müde, suche mir im hinteren Teil des Busses einen Sitzplatz und bin froh keine nach Alkohol-riechenden Menschen um mich zu haben. Erst als ich sitze, sehe ich auf und beobachte die zusteigenden Menschen, die nach Plätzen suchen. Eine Mutter mit einem Baby im dunkelblauen Kinderwagen und einem müden Kleinkind an der Hand, das an seinem Daumen lutscht, zwei Anzugträger mit kleinen Rollkoffern, zwei Musik- hörende Jugendliche, die sich scheinbar nichts zu sagen haben und ein Mädchen mit einem Schulranzen, der mich an meinen Eigenen erinnert und der ihr schwer an den Schultern hängt.

Kaum hat sich der Bus in Richtung der nächsten Haltestelle in Bewegung gesetzt, beginnen zwei weibliche Stimmen hinter mir zu tuscheln. Mir fällt auf, dass eine der Stimmen alarmiert wirkt. Ich beginne dem Gespräch zu folgen und schnappe einige Gesprächsfetzen auf. Eine der Frauen möchte, dass ihre Begleitung jemand anderen im Bus unauffällig beobachtet. Sie beschreibt mit vielen Pausen das Schulmädchen mit dem schweren Schulranzen: „... die Kleine, mit dem Kopftuch. Hast du die gesehen, als die reinkam? Der Rucksack ist ja total voll. Damit kommt die sicher nicht von der Schule... Hier ist ja nichtmal eine Schule. (...) Da frägt man sich doch schon, was die da transportiert...“

Das junge Mädchen sitzt inzwischen uns zugewandt auf einem der Plätze hinter dem Fahrer. Sie sieht aus dem Fenster und schiebt ihren Rucksack aus dem Weg der anderen und zwischen ihre Beine. Ich schätze sie auf höchstens zwölf Jahre. Sie hat große, braune Augen mit beneidenswert schweren, dichten Wimpern und blinzelt gegen die Sonne. Ihr Kopftuch umrahmt ihr zartes Gesicht in einem Milka-Lila. An der Seite ist in der gleichen Farbe eine Stoffblume mit kleinen Pailletten geheftet.


Die Gesprächspartnerin der ersten Stimme murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann. Dann fragt sie, wie genau denn der Rucksack aussähe und wie die Ausbeulungen aussähen Sie kann ihn aus ihrem Blickwinkel nicht ausmachen. Ihre Freundin meint, dass sie das nicht sehen konnte, die Farbe des Stoffes sei zu dunkel gewesen. Noch immer klingen ihre Stimmen unruhig.

Bald kommt die Freundin, der ersten Stimme auf die Idee, man müsste dem Busfahrer Bescheid geben. Dieser könne doch bei der nächsten Haltestelle schnell in den Rucksack sehen und wenn nur Schulsachen darin wären, wäre ja alles in Ordnung. Sie meint, irgendwie müsse man doch „herausbringen“, ob da sicher keine „Bombe“ transportiert würde. Oder sollte man besser gleich die Polizei hinzuziehen, es sähe ja schon sehr auffällig aus...

Ich erschrecke vor diesen Ideen und drehe mich mit zusammengezogenen Augenbrauen um. Während ich die beiden Frauen, die ich auf Mitte oder Ende 30 schätze, irritiert und vermutlich etwas herausfordernd ansehe, unterbrechen sie ihr Gespräch. Der Bus hält und ich sehe wieder nach vorne auf das Mädchen und die Fahrgäste in ihrer Nähe. Keiner scheint sie sonderlich zu beachten. Fast alle sind mit ihren Smartphones oder ihrer Begleitung beschäftigt. Hätten sie einen ähnlichen Verdacht, wie die beiden Frauen hinter mir, wenn sie aufschauen würden?

Die Frau, die zuerst ihre Vermutung oder Besorgnis geäußert hat, fügt beinahe entschuldigend hinzu: „...Ich mein, sie ist ja schon noch recht klein, aber das wäre ja die perfekte Tarnung. ...und wer weiß, wer ihr Vater ist... Vielleicht weiss sie ja nichtmal, was sie da transportieren muss...“. Vielleicht sind es aber auch nur Schulbücher in einem Schulranzen eines fleißigen Mädchens?

„...Aber der Terrorist aus dem OEZ war ja auch noch minderjährig als der das alles geplant hat. In den letzten Wochen waren das alles ganz junge von den Flüchtlingen. Und alle von denen sahen gar nicht so schlimm aus. Das ist es ja! Die nehmen extra welche, bei denen wir nicht so schnell Verdacht haben... Der Tino hat auch gesagt, man muss bei allen genau hinschauen, aber besonders bei denen, die extra unauffällig sind...“

Ich bin wütend und drehe mich erneut um, diesmal nicht um die beiden anzusehen, sondern um zu zeigen, dass ich sie gehört habe. Ich habe eine Menge Fragen, zu viele um sie in diesem Moment zu stellen? Das Mädchen steigt aus, vorne, weit weg von den beiden Frauen, die sie für einen Bombenkurier gehalten haben. Ich bin froh, dass auch ich bei der nächsten Haltestelle diesen Bus verlassen kann. Als die Bustüren sich schließen, höre ich die jetzt ruhige Stimme der zweiten Frau: „Ich hätte ja darauf getippt, dass die erst am Hauptbahnhof aussteigt...“

Die erste Frau meint: „Eben... Wer weiß denn jetzt noch wie Terroristen aussehen...“

 

Verfasserin: Ma. S.