„Die da oben“ und „die da unten“ – Von Mächtigen und Ohnmächtigen
20.02.2017 um 00:00 Uhr
Foto: Carina Pilz
„Einerseits ist es schon cool, weil man nah an so hohen Persönlichkeiten dran ist und es macht schon ordentlich was her, wenn dann die Amerikaner mit 40 Autos, mit schwarzen Limousinen anfahren, hin und wieder sieht man auch mal irgendeinen Bekannten, die Merkel oder so, aber ... es ist auch oft sehr monoton, also diese Kontrollen und 24 Stunden wird da überwacht und vor allem am Abend ist nicht viel los.“ (Manuel Razkov, Polizei München, Ergänzungsdienste)1
Zuständig für die Absicherung der Tagung und damit der Mächtigen „da oben“ sind während der SiKo um die 3500 Polizist_innen. Sie werden zwar von anderen Akteursgruppen – besonders von Demonstrant_innen – oftmals als Handlanger der Politik und der Konferenz angesehen, dass die Polizist_innen jedoch einen besonders harten Arbeitsalltag am Wochenende der Sicherheitskonferenz haben, wird dabei übersehen. Urlaubssperren, 12-Stunden-Schichten in der Februarkälte und besondere strenge Einsatzrichtlinien, beispielsweise außerhalb der Pausen nicht zu sitzen, zu essen oder zu trinken, sind die eine Sache – schließlich befindet man sich im Fokus der Weltöffentlichkeit. Sicherheit bedeutet auf einer Großveranstaltung dieses Kalibers und dieses weltöffentlichen Interesses auch, dass ein besonders diszipliniertes Verhalten von den Beamt_innen erwartet wird – um Sicherheit schon durch ihr Auftreten auszustrahlen.
Foto: Carina Pilz
Hinzu kommt, dass die Einsatzbeamt_innen direkt mit der Hofierung der Konferenzteilnehmer_innen konfrontiert werden: Während sie sich zwar rundum gut mit Essen versorgt wissen und das Polizeipräsidium eigens eine Kantine für den Zeitraum der MSC einrichtet, erleben die meisten Polizist_innen zugleich hautnah mit, welch vielfach höherer Aufwand für die Gäste der Konferenz betrieben wird. Selbst die Begleitungen, beispielsweise Ehepartner_innen der Besucher_innen, können es sich im Luxushotel Bayrischer Hof gut gehen lassen. Das in Buffet-Form und vom High-End Catering Lehrieder aufgetischte Essen ist reichhaltig und für Unterhaltung in Form eines zusätzlichen Programms wird gesorgt. So erzählt Andrea Schmitt von der Polizei München:
„Für die Ladies gibt’s da immer so nen Frühstück und irgendwelche Programme, also man schaut schon, dass es denen ganz gut geht. Weil wenn die Männer drinnen sitzen, müssen die Frauen ja beschäftigt werden. (…) Man sieht ja auch, wie das ganze Essen an einem vorbeigeht und man selber hat Hunger ohne Ende und dann fahren die ganzen Croissants, belegte Brötchen, das ganze Essen rein und man denkt sich, wie gern wär ich jetzt auch die Frau von irgendeinem da oben und würd’s mir jetzt gut gehen lassen.“
Eine Trennlinie, die sich in Erzählungen zahlreicher Akteure findet – egal ob Polizist_innen, Einzelhandel oder Demonstrant_innen – ist die Abgrenzung zu „denen da oben“, den Teilnehmer_innen und Veranstalter_innen der Sicherheitskonferenz selbst. Dies legt ein wenigstens gefühltes Machtgefälle zwischen den geladenen Gästen und Organisator_innen der Konferenz auf der einen Seite und den betroffenen Münchner_innen auf der anderen Seite offen. Während den ersten eine Machtposition zugeschrieben wird, sieht man sich selbst in einer wenig einflussreichen, nicht gleichberechtigten Position. Das spiegelt sich in dem „ist halt so“ und „wird man eh nicht ändern können“ verschiedener Geschäftsinhaber_innen und Verkäufer_innen wider:
„Die ganzen Politiker, die anreisen zur Sicherheitskonferenz nach München, die nehmen ja meistens ihre Frauen mit und die wollen dann hier shoppen gehen und gut essen und so weiter und auch die Politiker selbst. Und das wär natürlich nichts für die, wenn die da irgendwo 'in the middle of nowhere’ wären [...].“ (Francois Claudon, Inhaber eines Schmuckgeschäftes an der Schäfflerstraße)
Gegen die Wünsche und Belange der einflussreichen Politiker_innen werden Beschwerden oder offener Widerstand wie die Demonstrationen als zwecklos empfunden. Gerade auch bei den Polizeikräften im Einsatz auf der Sicherheitskonferenz wird diese Stimmung deutlich, wenn sie über die mitgebrachten Sicherheitskommandos mancher Delegationen sprechen. Dass sie ihnen gegenüber nichts zu melden haben, verstärkt das ohnehin schon vorhandene Gefühl des Machtgefälles:
„Also schon selbst als Polizist ist es aufregend, wenn man sieht, wie viel Aufwand für andere Menschen betrieben wird, also schon Wahnsinn. Einmal war’s auch so, dass irgendein Präsident (...) ist dann über die Tiefgarage rein, er wollte nicht öffentlich vom Haupteingang rein und das ist halt schon Wahnsinn wie viel Autos da unten stehen, wie viele Sicherheitskräfte von ihm dann auf einmal unten stehen und man steht (...) halt einfach da und denkt sich, man hat halt gar nichts zu melden, wenn von dem da die Sicherheitskräfte kommen.“ (Andrea Schmitt, Polizei München)
Die Sonderstellung, die den Gästen der Sicherheitskonferenz eingeräumt wird, spiegelt sich auch darin wieder, dass während der Veranstaltung die Kompetenzen der Polizei auf bundesdeutschem Gebiet beschnitten werden – denn die Gewährleistung der inneren Sicherheit und das damit verbundene Gewaltmonopol des Staates sind eigentlich Kernaufgaben der Polizei.
Mona Bergmann, Bastian Nachtmann
Fazit: Die Routine in der Ausnahme (empfohlen)
Alle Personen- und Firmennamen in diesem Artikel mit Ausnahme der MSC-GmbH sind zum Schutz der Personen anonymisiert. (weiterlesen...)