„Die [...] schaffen es nicht, die Menschen zu mobilisieren“ - Früher war alles schlimmer
20.02.2017 um 00:00 Uhr
Foto: Carina Pilz
Ausnahmen im immer gleich erzählten und erduldeten Routineablauf des SiKo-Spektakels scheint es wenige zu geben. Selbst die Demonstrationen wirken auf den ersten Blick immer gleich – oder doch nicht? Ein Bruch in den Abläufen wird von verschiedenen Seiten vor ca. zehn bis 15 Jahren verortet. Den Erzählungen zufolge ist die Ver(un-)sicherheitlichung, also die Herstellung von Un/Sicherheit durch Sicherheitsmaßnahmen und –diskurse, und damit die Beeinträchtigung des Innenstadtlebens durch die Sicherheitskonferenz (SiKo) schon einmal „viel schlimmer“ gewesen. Anfang der 2000er Jahre seien die Demonstrationen dann heftiger gewesen, die Ablehnung der Allgemeinheit gegenüber der SiKo höher, die Angst vor den Demonstrant_innen größer, die Abriegelung massiver. Im Jahr 2000 kehrte die SiKo, unter einem neuen Vorsitz, Horst Teltschik, und vergrößert in die Münchner Innenstadt und den Bayerischen Hof, zurück – aufgrund des Golfkrieges hatte sich dieser aus Sicherheitsbedenken 1991 als Austragungsort verweigert.
Die Tagung wurde für neun Jahren in das Hilton Park Hotel am Englischen Garten verlegt, zwei Jahre davon fand sie überhaupt nicht statt.Nach Ausschreitungen beim G8 Gipfel in Genua wird im Jahr 2002 die Versammlungsfreiheit für den Zeitraum der Sicherheitskonferenz aus Gründen der Gefärdung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgehoben. Trotzdem und gerade deswegen lassen es sich Tausende Demonstrant_innen nicht nehmen auf die Straße zu gehen. In Wechselwirkung dazu werden die Sicherheitsvorkehrungen in den Folgejahren verstärkt.1 Geschäfte in der Kaufinger- und der Theatinerstraße nageln ihre Schaufenster während mehrerer Konferenzen mit Holzverschlägen und Brettern zu. Besonders die Bilder der Proteste dieser Zeit und der vernagelten Schaufenster und Türen scheinen sich im Gedächtnis der Beteiligten eingebrannt zu haben.
Die verschiedenen Gesprächspartner_innen nehmen rekursiv immer wieder Bezug darauf. Seit diesen markanten Ereignissen wird oftmals von einem Rückgang der Protestaktionen hinsichtlich der Intensität und der Teilnehmerzahlen gesprochen. 2008 erneuert sich die MSC nach einem weiteren Vorsitzwechsel unter Wolfgang Ischinger: Es kommt zu Veränderungen des Programms, des Personals und des Teilnehmerfeldes, welches sich nicht mehr nur aus klassischen Sicherheits- und Rüstungsexpert_innen oder Verteidigungspolitiker_innen zusammensetzt, sondern sich zunehmend geöffnet hat.
Das Image der Wehrkundetagung voller Generäle jenseits ihrer besten Jahre will die Riege der Verantwortlichen abgelegt wissen. Stattdessen gibt es jetzt eine Zielmarke für die Prozentzahl weiblicher Teilnehmer_innen und es wird darauf verwiesen, nicht mehr nur Sicherheitsexpert_innen und -politiker_innen, sondern 2017 beispielsweise auch drei Literaturnobelpreisträger_innen unter den Gästen zu haben. Gründe für eine zunehmend transparente Selbstdarstellung der MSC sind nicht nur eine Reaktion auf die Protestaktionen oder die Unbeliebtheit in der Münchner Öffentlichkeit, sondern zudem auf Vorwürfe gegen den Vorsitzenden der MSC, Wolfgang Ischinger, eine Weltpolitik hinter verschlossenen Türen zu betreiben. Aus Sicht des Chief Operating Officer (COO) der Munich Security Conference (MSC) ist eine Demonstration gegen die Tagung als solche heute nicht mehr nachvollziehbar, da man damit nicht gegen einzelne Politiken bestimmter Länder oder Lobbys demonstriere, sondern gegen den Dialog zwischen diesen. Die Demonstranten als Gruppe werden insofern von ihm kaum ernst genommen:
„Die Demonstranten schaffen es nicht, die Menschen zu mobilisieren. Bei der letzten Versammlung der Konferenzgegner waren vielleicht 15 Leute da. (...) Das ist eine immer kleiner werdende Gruppe von älteren Herrschaften und zwei bis drei sehr idealistischen jungen Frauen. Die demonstrieren gegen eine Konferenz, die es seit zehn Jahren gar nicht mehr gibt.” (COO der MSC, Dr. Benedikt Franke)
Ein kontinuierlicher Schwund der Teilnehmerzahlen lässt sich entgegen dieser Aussagen dennoch nicht verzeichnen: Während 2002 ca. 10 000 Demonstrant_innen gezählt wurden und es im Folgejahr sogar dreimal so viele waren, variieren die Teilnehmer_innenzahlen seitdem stark, liegen jährlich jedoch bei mindestens 3000.2 Dass die Demonstrationen ihren (bisherigen) Höhepunkt Anfang der 2000er Jahre hatten, hängt aber weit weniger mit der zu dieser Zeit beginnenden Erneuerung des Programms, des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung der Sicherheitskonferenz als mit einer ganz anderen Ursache zusammen: der plötzlichen und unmittelbaren Betroffenheit der bundesdeutschen Bevölkerung vom Thema Krieg.
Mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und der medialen Debatte um den zweiten Irakkrieg rückt das Kriegsgeschehen für viele Bürger_innen der Bundesrepublik in eine greifbare Nähe. Es kommt zu großen Anti-Kriegs-Protesten. Auch die Organisator_innen der Protestaktionen gegen die Sicherheitskonferenz sehen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Anzahl der Demonstrant_innen und den aktuellen außenpolitischen und militärischen Konflikten: Das sicherheitspolitische Tagesgeschehen treibt weitaus mehr Leute auf die Straße als deren grundsätzliche Einstellung zur SiKo – wie auch immer diese ausfallen mag.
Mona Bergmann, Bastian Nachtmann