„Das ist halt so“ – Gewöhnung an die Störung
Foto: Carina Pilz
Wie die von der Sicherheitskonferenz (SiKo) betroffenen oder an ihr beteiligten Akteure auf sie reagieren, hängt im Wesentlichen von ihrer Rolle ab: Tourist_innen, Einkaufende und Flaneure in der Innenstadt – ob Münchner_innen oder nicht – zeigen allgemein weder große Begeisterung noch deutliche Abneigung gegenüber der weltpolitischen Großveranstaltung und den damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen. Auf Nachfragen, wie sie zum Stattfinden der SiKo und auch den damit einhergehenden Absperrungen und Kontrollen stehen, antworten die meisten angesprochenen Passant_innen mit einem Schulterzucken und einem “ist halt so”.
Diese Phrase steht repräsentativ für eine Haltung der Akzeptanz und Gewöhnung gegenüber dem jährlichen Spektakel. Lediglich in Bezug auf die erhöhte Polizeipräsenz gibt es mehr Ambivalenz: Während einige die sichtbare Anwesenheit verschiedener Polizeieinheiten lobend hervorheben, betrachtet ein Teil der Münchner Öffentlichkeit diese skeptisch und hinterfragt ihre Notwendigkeit.
Wer jedoch geschäftlich von der Sicherheitskonferenz betroffen ist, legt eine ganz andere Haltung dazu an den Tag. Gerade beim Einzelhandel herrscht die Darstellung der störenden und geschäftsschädigenden Sicherheitskonferenz vor. Sie bringe Kundeneinbrüche und Umsatzeinbußen mit sich: Über nicht zu kompensierende Ausfälle an den eigentlich umsatzstärksten Wochentagen – Freitag und Samstag – beklagen sich vor allem die Geschäftsinhaber_innen von Bekleidungs- , Sport-, Schmuck- und Buchläden und darunter wiederum das schon länger vor Ort tätige Personal.
ragt man jüngere Angestellte oder Spezialgeschäfte, beispielsweise eines für Umstandsmoden, deren Kunden gezielt und unabhängig von äußeren Umständen in den jeweiligen Laden kommen und sich nicht aus den Bummler_innen rekrutieren, zeigt sich ein anderes Bild: Es wird keine oder kaum Veränderung gegenüber dem restlichen Jahresverlauf bemerkt. Einige wenige exklusive Bekleidungsausstatter wie Lodenfrey und ebenso die Gastronomie wie das Luitpoldcafé profitieren sogar von den Tagungs-Teilnehmer_innen als Kund_innen.
Das repetitive Sich-Beschweren der alteingesessenen Einzelhändler_innen stellt insofern ein gewachsenes und verfestigtes Narrativ über die geschäftsschädigende SiKo im Viertel der als exorbitant teuer empfundenen Ladenmieten dar: Man redet mit den Geschäftsnachbar_innen über die Sicherheitskonferenz, findet sich dort in seinem Ärger bestätigt, tröstet sich und bestärkt sich in der eigenen Anschauung: Wichtige Kund_innen bleiben während des Konferenzzeitraums aufgrund der Versicherheitlichungsmaßnahmen den Geschäften fern. Dies hat für die Einzelhändler_innen angeblich Umsatzeinbußen zwischen zehn bis 50 Prozent während des Konferenzzeitraumes zur Folge – je nachdem, wen man fragt. Die repetitiven Beschwerden führen zur Bildung eines spezifischen Mythos: Der Erzählung von der geschäftsschädigenden SiKo, die besser “auf’s Land” oder einfach weit weg gehöre. Dabei fällt auf, dass häufig ein Vergleich zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau gezogen wird – von den Einzelhändler_innen und Passant_innen wird dieser Standort als besser geeignet für derartige Großereignisse eingestuft.
Von einigen Befragten wird allerdings betont, dass die Tagung an sich keine Schuld an der Patrouille der Hundertschaften, der Abriegelung der Geschäftsstraßen und dem dadurch ausbleibenden Umsatz trage, sondern vielmehr die Demonstrant_innen. Denn wegen der Anti-Kriegs-Demonstration des 'Aktionsbündnisses gegen die sogenannte NATO-Sicherheitskonferenz' werden gerade samstags bestimmte Straßen abgesperrt und Hundertschaften positionieren sich dann unter anderem auch vor den Ladeneingängen: Dies halte potenzielle Kunden an diesem Tag von den Geschäften fern. Die Konferenz – oder vielmehr das Drumherum, welches sie mit sich bringt – stört die Einzelhändler_innen.
Trotz der in diesen Erzählungen betonten Wahrnehmung als Störung, wird die SiKo auch vom Einzelhandel wie schon von den Passant_innen mit einem Schulterzucken hingenommen. Aktiv gegen sie unternommen haben die sich beschwerenden Geschäftsinhaber_innen nach Eigenaussage noch nichts. Man ist allgemein der Ansicht, sowieso nichts ausrichten zu können: Auch wenn man der Meinung ist, die Tagung der internationalen Sicherheitsexpert_innen gehöre nicht in die Münchner Innenstadt, so ist man sich gleichzeitig sicher, dass dies auch in ferner Zukunft noch der Fall sein wird: Die SiKo “ist halt jedes Jahr in München”. Sie gehört scheinbar zu München und zur Innenstadt. Gegen die Macht und den Einfluss des Veranstalters und der Politik sehen sich die Beschwerenden in einer benachteiligten Position.
Die jährliche Wiederkehr hat zudem längst zum Effekt der Gewöhnung geführt, teils nörgelnd wird die Sicherheitskonferenz daher eben hingenommen. Gerade die Schwarzmalerei und das immer gleich klingenden Beschwerde-Narrativ des Einzelhandels - untereinander und gegenüber jedem, den es interessiert - können in diesem Zusammenhang auch als Bewältigungsstrategie des jährlichen Übels und des jährlichen Ausnahmezustandes betrachtet werden.1
Mona Bergmann, Bastian Nachtmann
Teil 4: „Die [...] schaffen es nicht, die Menschen zu mobilisieren“ - Früher war alles schlimmer (empfohlen)
Teil 5: „Die da oben“ und „die da unten“ – Von Mächtigen und Ohnmächtigen
Fazit: Die Routine in der Ausnahme
Literatur
1Jackson, Michael (2013): The Politics of Storytelling: Variations on a Theme by Hannah Arendt. Kopenhagen. (weiterlesen...)