„Jeder kann sich das nicht leisten“ – anonymes und diskretes Wohnen in räumlicher Abgrenzung
Diskretion. Diese Tugend wird von Concierges in bewachten Wohnanlagen in München wie den Augustenhöfen und den Lenbach Gärten großgeschrieben. Schließlich würden viele hier aus gutem Grund wohnen: weil sie sich als Teil einer bestimmten Bevölkerungsschicht fühlen, einer bestimmten Einkommensklasse angehören oder „vielleicht auch gefährdetere Positionen in bestimmten Berufen, wo man sich halt mehr Feinde macht“ bekleiden, so der Head-Concierge einer Luxus-Appartement-Anlage im Norden Schwabings, Michael Seifert. Für sie kann eine Einlasskontrolle in Form eines Concierge-Dienstes oder auch nur einer Videogegensprechanlage „sehr hilfreich und entlastend sein“.
Klingelschilder mit den Namen der Bewohner_innen sucht man deshalb an manch einem Hauseingang einer solchen Wohnanlage vergebens. Um Zugang zum Foyer und zum Haus zu erhalten, muss man deshalb die Appartementnummer der Person, zu der man will, kennen. Dazu muss meist erst eine Sprech- oder Videoverbindung zu der Person im Appartement hergestellt werden, um dann von dieser per Summer hereingelassen zu werden. Manchmal muss man auch namentlich bei dem/der Concierge als Besuch angemeldet sein.
Der Concierge-Service hat in bewachten Wohnanlagen eine wichtige Funktion: Er kontrolliert den Einlass. Zu den Aufgaben eines/-r Concierge gehören die Präsenz am ‚Desk‘, einer Art Rezeption, die meist im Foyer vorzufinden ist, mancherorts Rundgänge und Kontrollen der Ein- und Ausgänge, sowie vor allem Dienstleistungen wie Paketannahme, Auskunft, Informations- und Organisationsservices und dergleichen mehr. Concierges erinnern damit an Portiers oder Wächter, wie sie teilweise bereits im Mittelalter, aber vor allem im 18., 19. und 20. Jahrhundert in gut situierten bürgerlichen Häusern zu finden waren. Auch die Profession des/der Hotelrezeptionist_in ähnelt der des/der Concierge sehr, wie mir Michael Seifert berichtet; teilweise gebe es auch in Luxushotels die Profession des/der Concierge zusätzlich zum/zur Rezeptionist_in.1
In nahezu allen abgesicherten Wohnanlagen sind Concierge-Dienste laut Michael Seifert mittlerweile Standard – egal ob in Luxuswohnanlagen, wie den Lenbach Gärten, dem Isar-Stadtpalais oder den Augustenhöfen, oder in einer Luxus-Appartement-Anlage wie dem studiomuc, wo auch einige Student_innen wohnen. Concierge-Dienste sind damit eines der herausstechendsten Merkmale, die so unterschiedliche Wohnanlagen wie die Therese oder das studiomuc neben anderen Zugangsbegrenzungen wie Überwachungskameras und Videogegensprechanlagen miteinander gemein haben. Abgesicherte Wohnanlagen ähneln in ihrer Funktionalität und Struktur den vor allem aus Nord- und Südamerika und Südafrika bekannten ‚Gated Communities‘, welche als geschlossene Wohnkomplexe bestimmte Zugangsbeschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen (wie Zäune, Tore, Wachdienste, Ausweiskontrollen) sowie teilweise eine eigene interne Infrastruktur von Versorgungs- und Bildungseinrichtungen haben.2
Allein schon die Präsenz eines/-r Concierge im Foyer oder Eingangsbereich wirke auf die Bewohner_innen absichernd – da sind sich Michael Seifert und die Bewohner_innen der Anlage, in der er arbeitet, einig. Mit dem zusätzlichen Einsatz technischer Maßnahmen wie Videogegensprechanlagen, Kameraüberwachung an zentralen Punkten (Eingang, Foyer, Gänge, Aufzüge, Tiefgarage, Innenhöfe, schlecht einsichtige Ecken etc.) in und um das Gebäude, Chipschlüsselsystemen statt gängiger Türschlösser, Glas mit einer höheren Glashärte (resistence glass) und aushebelsicheren Griffsystemen an Türen und Fenstern würden die meisten Interessent_innen und Bewohner_innen dieser Wohnform mittlerweile rechnen, berichtet Constanze Regner von der artform GmbH. Einige von ihnen würden gewisse Stadtteile Münchens als potentiell unsicher wahrnehmen und so steige eben der Anspruch an die Service- und Sicherheitsausstattung der Wohnanlage. Auf dem möglichst kurzen Nachhauseweg vom Parkplatz, der Tiefgarage oder der möglichst nah gelegenen und damit guten öffentlichen Verkehrsanbindung wollen sie auf gut beleuchteten Wegen keiner Gefahr durch potentiell unerwünschte, „herumlungernde Leute“ ausgesetzt sein, wie auch Miriam, eine Bewohnerin der Luxus-Appartement-Komplex studiomuc, betont.
„Wenn ich nachts mal unterwegs bin, in der Maxvorstadt ja zum Beispiel, oder auf dem Nachhauseweg, dann nervt mich das schon, wenn einen an jeder Ecke irgendein besoffener Kerl anlabert und ob man irgendwo mit hinkommen will oder mit zu ihm nach Hause oder so … da hab ich dann schon manchmal Angst und find's dann schon gut, dass ich auch die Haltestelle direkt vor der Tür hier habe und es auch Kameras gibt“.
Wie viele Kameraüberwachungssysteme zur Unterstützung des Concierge-Dienstes installiert werden, hängt laut Head-Concierge Michael Seifert „ganz vom Standort des Hauses und auch von der Stadt ab, also wenn's an einem Ort problematischer ist, oder man in irgendwelchen Ländern wohnt, wo in bestimmten Stadtteilen oder so ständig was passiert und los ist“. Die Kameras kämen bei den Interessent_innen und Bewohner_innen solcher Wohnanlagen nach seiner Erfahrung eigentlich immer gut an, denn sie „stören ja so im Alltag niemanden wirklich, aber man weiß halt, dass sie da sind und was aufzeichnen können, wenn was passiert … ja und das beruhigt die Leute“.
Die Videoüberwachung in Form von starrenden Kameraaugen.
So wird mittels des Verweises auf Ängste und Unsicherheiten im urbanen Alltag (vor allem nachts und im Dunkeln, bzw. an bestimmten Orten wie am Hauptbahnhof oder in dessen Nähe) eine Legitimation für abgesichertes Wohnen geschaffen. „Meinen Eltern war das schon sehr wichtig, dass es sowas wie 'nen Concierge und vielleicht auch ein paar Kameras gibt, einfach weil halt München so eine große Stadt ist … hier ist halt schon viel los und es kann viel passieren, ja ...“, erzählt Miriam. Dass die gewünschten Sicherheitsvorkehrungen wie Kameras, Zäune und Concierges selektiv wirken, indem sie Menschen ein- und ausschließen, wird – teilweise positiv zustimmend – in Kauf genommen.
Die soziale Filterung, sie ist durchaus erwünscht in diesen Anlagen. Die Service- und Sicherheitsdienstleistungen sowie die meist standardmäßig sehr hochwertige bis luxuriöse Ausstattung der Wohnungen und Appartements setzt eine gewisse Finanzstärke des interessierten Klientels voraus: „Jeder kann sich das nicht leisten“, stellt Therese-Mitarbeiterin Constanze Regner im Interview hinsichtlich der Interessent_innen und Käufer_innen bzw. Mieter_innen fest. Am durchschnittlichen Bewohner_innen-Profil lässt sich dies gut ablesen: Größtenteils wohnen Manager_innen, Unternehmer_innen, Young Professionals, Akademiker_innen und junge Familien in den bewachten Wohnanlagen.
Man sei einerseits an einer „guten Durchmischung“ durchaus interessiert, andererseits allerdings auch an „finanziell gut gestellten Leuten, mit so einem gewissen Lifestyle“, so Constanze Regner. Und das sehr zum Gefallen und den Erwartungen der meisten Bewohner_innen entsprechend: „Soweit ich weiß, sind hier alle Nachbarn auf dem gleichen intellektuellen Level und beruflich erfolgreich“, lässt mich der Bewohner Armin, der ebenfalls in der Luxus-Appartement-Anlage studiomuc wohnt, wissen.
So stellt die Möglichkeit des Wohnens in einer abgesicherten Wohnanlage für die Bewohner_innen und Eigentümer_innen auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (exklusiven) sozialen Klasse, womöglich zur Elite, nach außen dar. Wohnen in diesen Wohnanlagen bedeutet nicht nur eine potentiell gute und ‚sichere‘ Investition, sondern ist auch ein Distinktionsmerkmal, das Prestige verspricht. Diejenigen, die sich eine solche Wohn- und Lebensform leisten können, bleiben unter sich. Das sichere Wohnen ist in den neuen, abgegrenzten Wohnanlagen auch immer ein mehr oder weniger sozial homogenes Wohnen.
Die beschriebenen sozialen Filterungs- und Ausschlussmechanismen habe auch ich erlebt, als ich in den letzten Monaten versucht habe, Kontakt zu Bewohner_innen, Concierge-Services, Makler_innen, Architekt_innen und Baugesellschaften dieser Wohnanlagen herzustellen. So blieben die meisten meiner Interviewanfragen bis heute unbeantwortet und wenn sich doch die Möglichkeit eines Gesprächs ergab, zeigten sich schnell genaue Vorstellungen hinsichtlich der Aufzeichnung und Anonymisierung des Gesprächs sowie der Verwendung der daraus gewonnenen Daten. Der Head-Concierge Michael Seifert und die Baugesellschaftsmitarbeitern Constanze Regner sagten mir in unserem Gespräch mehrmals, dass man zu diesem und jenem Punkt nun leider nicht so sehr ins Detail gehen könne oder gleich gar nichts dazu sagen dürfe. Und mein Versuch mit der Concierge und den Bewohner_innen der Augustenhöfe über die Wohnanlage und ihre Wohnform zu sprechen, wurde von der Concierge mit dem Satz „Das wird hier von den Bewohnern und der Hausverwaltung gar nicht gern gesehen“ und der Aufforderung, das Gebäude bitte zu verlassen, abgewehrt.
Die aufgetretenen Probleme bei der Forschung verraten viel über das Feld: Der Wunsch nach Privatsphäre und Diskretion bezieht sich nicht nur auf potentiell unerwünschte und ‚unsichere‘ Subjekte und Objekte, sondern auch auf jegliches Interesse der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit. Es wäre jedoch spannend und lohnenswert, mehr über die verschiedenen Lebenswelten und die Menschen, die in diesen abgesicherten Wohnanlagen leben, zu erfahren. Denn sie prägen mit ihrer Entscheidung, in einer solchen Wohnform zu leben, den Wohn- und Mietmarkt und das Münchner Stadtbild entscheidend mit.
Anne Dietrich
Hier gehts weiter zum Fazit: „Nicht jeder darf hier reinkommen“
Literatur
1 Konkrete Beschäftigungszahlen zu Concierges in abgesicherten Wohnanlagen lassen sich leider nicht finden. Laut dem Berufsverband Die Goldenen Schlüssel e.V. der Hotelportiers/Hotelconcierges gibt es momentan 180 aktive Vereinsmitglieder_innen (http://www.lcdg.org/presidents-welcome/; siehe außerdem auch http://www.lesclefsdor.org/about-us/what-is-a-concierge/ [18.01.2017]). (weiterlesen...)
2 Skoruppa (2013): 61 ff., außerdem Glasze (2001): 39 ff. (weiterlesen...)