„Ein total interessantes Leben“: Vom Privat- zum Diensthund
„Erst mal kommt ja die Entscheidung, ist er [der Hund, Anm. der Autorin] geeignet, oder denken wir, dass er geeignet sein wird für den Polizeidienst, oder nicht. Und dann kommt ja noch diese große Sache mit der Untersuchung, diese gesamte tiermedizinische Untersuchung wie Röntgen und so weiter und so fort. Das ist halt noch mal so eine Zitterpartie. Selbst dann kann er ja immer noch im Laufe der Ausbildung sich als nicht geeignet herausstellen. Einfach von seiner Wesensart. Weil auch die Hunde eine Entwicklung durchmachen während dieser Ausbildung. Es bleibt nicht jeder Hund gleich. Er kann mal unwahrscheinlich übers Ziel hinausschießen vom Ego her, weil du sagst ihm natürlich Hundert Mal am Tag ‚Hey, du bist der Beste, du bist super’ und da weißt du halt auch nie, wo führt das am Schluss dann hin. Oder es stellt sich irgendwo raus, er hat Bewegungsunsicherheiten auf verschiedenen Böden. Auch das hatten wir schon, dass man dann einen Hund ausmustern musste, weil er auf so glatten Böden auf einmal nicht mehr klargekommen ist.“
(Dienstgruppenleiter und Hundeführer Christoph, 01.06.2016)
Ebenso wie bei den menschlichen Sicherheitskräften wird auch bei den tierischen ein strenger Auswahlprozess vollzogen, denn nicht jeder Hund kann seinen Dienst bei der Polizei antreten. Sie müssen eine gewisse Palette an Voraussetzungen erfüllen, sich physisch sowie psychisch belastbar zeigen, werden einem Wesens- und Gesundheitstest unterzogen – kurzum, die Tiere werden auf Herz und Nieren getestet. Dies verdeutlicht die Wahrnehmung der Hunde als eigenständige Individuen, von denen manche – äquivalent zu uns Menschen – für einen Job geeignet sind, während andere nicht den Anforderungen entsprechen. Dass die Erwartungshaltung an einen polizeilichen Diensthund hoch ist, liegt daran, dass er im Gefüge der Polizei eine wichtige Rolle übernimmt: Er fungiert als verlängerter Arm des_der Beamt_in.
Getreu dem Motto ‚Viele Wege führen nach Rom’ sind die Bezugsquellen für den tierischen Nachwuchs bei der Diensthundestaffel München überaus divers. Da es in Bayern keine polizeieigene Zucht gibt (dies wäre ein zu hoher Aufwand), kommen Privatpersonen und Hundehändler_innen ebenso in Frage wie konventionelle Züchter_innen. Sie kontaktieren die Polizei entweder direkt oder der Präsidialbeauftragte für das Diensthundewesen, Andreas, zuständig für den Hundeankauf, stößt bei Internetrecherchen oder via Mund-zu-Mund-Propaganda auf passende Hunde. Geeignete Welpen (etwa acht Wochen alt) zu finden, stellt dabei keine allzu große Herausforderung dar.
Welpen werden lediglich an Beamt_innen gegeben, die bereits einen ausgebildeten Diensthund besitzen. Neue Kolleg_innen hingegen erhalten einen etwa einjährigen Hund, welcher unverzüglich ausgebildet werden kann. Für diese Altersklasse gestaltet sich die Suche schwieriger. Oftmals handelt es sich hier um Hunde, die aufgrund einer veränderten Lebenssituation oder wegen Überforderung verkauft werden und sich nicht selten als problematisch im Umgang erweisen, was den Start für Junghundeführer_innen, möglicherweise ohne Hundeerfahrung, erschwert.
Bei der Auswahl der Hunde wird auf verschiedene Kriterien geachtet. Zuerst einmal finden im Schutzhundebereich nur folgende Gebrauchshunderassen Verwendung: Deutscher, Holländischer und Belgischer Schäferhund (in der Mehrzahl) sowie, wenn auch selten, der Riesenschnauzer. Dieses vermeintliche ‚Schubladen-Denken’ findet seine Berechtigung darin, dass jede Hunderasse an gewisse Charaktereigenschaften gekoppelt ist, die bei der Zucht bewusst favorisiert werden. Auf bestimmte Charakterzüge achtet auch die Polizei. So benötigen Personensuchhunde, sogenannte Mantrailer, keinerlei Aggression für das Ausführen ihrer Polizeiarbeit, weshalb hier in der Regel Jagdhunde, beispielsweise sanftmütige Beagles, Bloodhounds oder Hannoversche Schweißhunde, mit ausgezeichneten Spürnasen eingesetzt werden.
Sind die Grundvoraussetzungen gegeben, wird der (erwachsene) potentielle Diensthund verschiedenen Tests unterzogen: Ist das Tier bewegungs- und umweltsicher, kann es also beispielsweise auf glatten Böden laufen, ist es unerschrocken und zeigt sich gleichgültig gegenüber Pistolenschüssen? Besitzt es einen ausgeprägten Spiel- und Beutetrieb? Spielt es beispielsweise mit verschiedenen Gegenständen und sucht drangvoll danach? Dieser Trieb ist besonders wichtig, da der Großteil der Ausbildung auf ihm basiert. Außerdem ist eine gewisse Grundaggression von Nöten (mit Ausnahme der Personensuchhunde), um den Ansprüchen eines Schutzhundes gerecht zu werden: Er hat Einsätze vor Fußballstadien, bei Schlägereien und in Verbindung mit Einbrecher_innen zu meistern, im Notfall muss er seine_n Hundeführer_in verteidigen. Dieser Charakterzug für den Schutzdienst wird, je nach Ausbildungsstand, überprüft, indem der Hund angehalten wird, in die Vollschutzjacke zu beißen. Das Erlernen dieses Bisses in den Arm erfolgt im Training zwar spielerisch, indem der Hund den Arm als Beute ansieht, aber der hierfür erforderliche Kampftrieb geht zwangsläufig mit einem Maß an Aggression einher.
Mit einem etwas dienstälteren Hund geht man dann über die Beutearbeit hinaus und trainiert auch explizit aggressives Verhalten, wobei dies stets kontrollierbar bleiben und zum_zur Hundeführer_in passen muss – der Zweck wäre verfehlt, wenn ein hochaggressiver Hund bei einem_einer Hundeführer_in wäre, der_die damit nicht ausreichend umzugehen wüsste. Das Ausleben jeglicher Aggressivität geschieht lediglich auf Zuruf, ein generell aggressives Auftreten gegenüber fremden Menschen ist folglich keinesfalls gewünscht – diesen soll der Hund vielmehr neutral gegenüberstehen. Im Übrigen testet man das Tier auf sein Verhalten in Bezug auf Unterordnung und untersucht, wie es im Falle einer Vereinsamung und auf die daraufhin erscheinende Person reagiert – fehlerhaft wäre ein starkes Zurückweichen. Die Polizei benötigt starke Hundepersönlichkeiten für ihre Arbeit, schüchternes, unsicheres oder gar ängstliches Verhalten eines potentiellen Kandidaten wird überwiegend negativ bewertet.
Wurde der Hund einem Hundeführer übergeben, kann die Ausbildung (mit einer Gesamtdauer von circa ein bis zwei Jahren) beginnen. Ziel ist es, dass der Polizeihund „in allen Situationen des täglichen Lebens mit kontrollierter Arbeit und abgesichertem Gehorsam seinen Dienst“1 verrichtet. Welche Spezialisierung der Hund erhalten soll, hängt vom Bedarf der Hundestaffel ab: Es gibt Rauschgift- (gelegentlich in Verbindung mit Banknoten-), Sprengstoff-, Leichen- oder Personensuchhunde. Bis auf letztere werden alle Diensthunde zusätzlich auch als Schutzhunde ausgebildet: Hierbei lernen die Hunde die Nasenarbeit – Verfolgen einer Fährte und Stöbern von Gegenständen (beispielsweise das Suchen nach einem Geldbeutel, dem menschlicher Geruch anhaftet und der von einem_einer Dieb_in ins Gebüsch geworfen wurde) – und den Schutzdienst, wo trainiert wird, Personen zu suchen, zu verbellen und gegebenenfalls auch zu beißen.
Wurden die Prüfungen im Schutzhundebereich an der Zentralen Diensthundeschule Herzogau bestanden, folgt die Spezialausbildung. Sie wird mit einer Dauer von neun Wochen vollständig in Herzogau absolviert und ist inoffiziell auch als ‚Bindungslehrgang’ bekannt, denn hier intensiviert sich die Beziehung zwischen Mensch und Tier durch viel gemeinsames Spiel beachtlich. Dies veranschaulicht ein weiteres Mal die Wichtigkeit einer engen Bindung im speziesüberschreitenden Team und stellt eine deutliche Abgrenzung zur, abseits der Hundeführer_innen bisweilen vollzogenen, Einordnung des Hundes als Hilfsmittel dar.
Foto: Said Burg
Die über die Ausbildungszeit hinaus verwendete Methodik in der polizeilichen Hundeerziehung ist der sogenannte ‚Klicker’: Ein kleines Gerät, das bei Betätigung des Druckknopfes ein deutlich hörbares ‚Klick’-Geräusch ertönen lässt und auch von Veterinärmedizinern empfohlen wird. Es ersetzt ein verbales ‚Gut gemacht!’. Die Vorteile sind, dass es punktueller eingesetzt und der Hund auch von ‚außenstehenden’ Personen belohnt werden kann. Anfangs wird das Klicken mit Futter positiv in Verbindung gebracht, später wird das Futter durch die Gabe des Spielzeugs ersetzt. Diese Methode ist auch bei der Spezialausbildung von zentraler Bedeutung: Beispielsweise wird für den Rauschgiftsuchhund Marihuana in einem Gitterkäfig platziert, um einen direkten Kontakt des Hundes mit der Substanz zu verhindern. In dem Moment, wo er daran schnüffelt, wird geklickt und mit Spiel belohnt – so lernt er, dass er seine Schnauze in unmittelbare Nähe dieses speziellen Geruchs bringen muss, um eine Belohnung zu erhalten. Alles Weitere, was ein Polizeihund zu bewältigen hat (wie der Lärm im Fußballstadion, Nachtschichten oder das laute Martinshorn), ist ein sukzessiver Gewöhnungsprozess von Beginn an: Indem der Hund diesen Belastungen immer wieder ausgesetzt wird, werden ihm diese vertraut.
Auch nach der Ausbildung trainiert der_die Hundeführer_in stetig weiter, sowohl selbstständig als auch in der Gruppe. Einen Tag pro Monat widmet man bei der Polizei der Spezialisierung und 16 Stunden monatlich finden Übungen im Schutzdienstbereich statt. Um ein gleichbleibendes Leistungsniveau zu gewährleisten, muss ein_e Hundeführer_in einmal jährlich die Jahresleistungsprüfung ablegen, bei der überprüft wird, ob das Team nach wie vor harmoniert. Besonderer Wert wird dabei auf das tadellose Ausführen des Kommandos ‚Aus’ im Zuge der Beißhandlung am Schutzanzug gelegt. Wer bei der Prüfung durchfällt, darf zwei Mal wiederholen, jedoch bis zum erfolgreichen Abschluss ausschließlich ohne den Hund Streife fahren (das heißt andere Beamt_innen als Person unterstützen) und an keinen Einsätzen teilnehmen. Die an die tierfreundlichen Ausbildungsmethoden anschließende Intensität des Trainings und strenge Leistungsüberprüfung verdeutlichen, dass das Lebewesen Hund möglichst jederzeit kontrollierbar sein soll. Denn wie auch die Schusswaffe ist der Diensthund ein Mittel des unmittelbaren Zwangs und ermöglicht so als „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ das Einwirken auf Personen oder Sachen durch Polizeibeamt_innen.
Laura-Louise Gettmann
Hier gehts weiter zu Teil 4: Der Diensthund im Gefüge der Polizei
Literatur
1 Diensthundestaffel München/Polizeiinspektion ED5 (2016): Ein Mensch und seine Seele. München. S. 2. (weiterlesen...)