Bauchgefühl vs. Technik - Röntgenkontrollen und Sprengstoffdetektion
„Bombenpaket landete auch in Deutschland“ – so titelte Zeit Online am 31. Oktober 2010.1 Ein paar Tage zuvor war in England eine Paketbombe sichergestellt worden, die aus dem Jemen auf dem Weg in die USA war. Das Paket, welches auch in Deutschland zwischenlandete, um am Flughafen Köln/Bonn verladen zu werden, war an eine jüdische Synagoge in Chicago adressiert. Zum Glück wurde die Bombe im Transit in England dank Geheimdienstinformationen gefunden und eine zweite Paketbombe in Dubai sichergestellt. Das Beispiel des Bombenpakets aus dem Jemen zeigt, wie viele Stationen ein Paket durchläuft und welche Ausmaße eine terroristische Aktion annehmen kann: Die Bombe war mit einer im Drucker versteckten Handykarte verbunden, sodass die Bombe noch während des Fluges oder auch an anderen Orten hätte explodieren können.
Wie konnte diese Bombe in der Abfertigung nicht erkannt werden? Eine große Rolle spielt der Ursprungsflughafen des Pakets, an dem es kontrolliert und als „sicher“ eingestuft werden muss, bevor es ins Flugzeug verladen werden kann. Der Luftverkehrsexperte Elmar Giemulla weist darauf hin, dass „Sicherheitslücken“ in einzelnen Ländern durchaus möglich sind.2 Doch auch wenn es keine „Sicherheitslücken“ im Jemen gäbe und obwohl die Kontrollen der Luftfracht in den USA, Großbritannien und Deutschland laut Giemulla stabil sind, hätte das Bombenpaket auch von Deutschland aus seine Reise antreten können.3 Auch hier wäre es nicht unbedingt gefunden worden – das bestätigt auch die Sicherheitsbeauftragte Beate Lang4 von SecTester, einem Dienstleistungsunternehmen, welches am Flughafen München Luftfracht kontrolliert. „Man hätte schon sehr, sehr gute Technik haben müssen, um das zu erkennen“, sagt sie. Das Problem an der Paketbombe war nämlich laut Lang, dass hier „Profis“ am Werk gewesen seien: In einem haushaltsüblichen Computerdrucker waren die Tintenpatronen mit dem Sprengstoff PETN und Blei befüllt. Diese waren in einem Stromkreis mit einer Handykarte verbunden, die im Drucker versteckt war.5 Mit einem Sprengstoffspurendetektor hätte man das Paket zwar als Bombe identifizieren können. Allerdings ist das Sprengstoffkontrolle „nicht das erste Mittel mit dem man kontrolliert“, wenn Luftfracht „sicher“ gemacht werden soll, so Lang. Das erste und häufig einzige Mittel, erklärt Lang weiter, „ist effektiv eine Röntgenkontrolle“, mit der es fast unmöglich ist, den Drucker als Bombe zu identifizieren.
Die Röntgenkontrolle der Luftfracht
Das Paket wird von einem Unternehmen per LKW zur Lagerhalle der zuständigen Spedition, hier LogFreight, am Luftfrachtterminal befördert. Falls es sich um unsichere Fracht handelt, also Fracht, die in dem zugehörigen Luftfrachtbrief noch nicht als „sicher“ deklariert wurde, übernimmt SecTester für LogFreight die physische Überprüfung des Packstücks. Der Luftfrachtbrief gibt Auskunft über den Inhalt des Pakets. Er wird deshalb von der Luftsicherheitskontrollkraft (LSKK) gelesen, bevor sie das Paket überprüft. Handelt es sich laut Luftfrachtbrief nicht um lebende Tiere oder Organe, die durch die Strahlung zerstört werden könnten, und ist das Paket nicht zu groß, durchläuft es ein Röntgengerät. Fische werden hingegen beispielswiese manuell optisch von den Mitarbeiter_innen kontrolliert, ein Papagei wird ebenfalls manuell untersucht und zusätzlich einer Sprengstoffkontrolle unterzogen. Stellen wir uns vor, das zu überprüfende Paket enthalte keinen Papagei, sondern einen Computerdrucker. Wissend, dass sie auf dem Computerbildschirm der Röntgenanlage etwas Computerdruckerähnliches erkennen sollte, lässt die LSKK also das Paket durch die Anlage fahren. Die Röntgenstrahlungen versuchen nun, das Packstück zu durchdringen. Das Röntgengerät visualisiert dies auf einem Computerbildschirm in drei Farben: organisches Material zeigt es orange an, anorganisches Material blau und bei einer Überlagerung der beiden ist der Bereich grün gefärbt. Plastiksprengstoff würde beispielsweise orange, ein Draht blau dargestellt werden. Das Bild auf dem Bildschirm wird nun von der LSKK betrachtet. Sie sieht hier weder den braunen Papierkarton noch einen Computerdrucker, sondern vielmehr eingefärbte Umrisse dort, wo die Strahlung das Paketstück durchdringen konnte. Falls die Dichte eines Gegenstandes zu hoch ist, sind auch die Strahlen zu schwach, um das Packstück zu durchdringen. Andersherum kann die Strahlung ab und zu auch zu stark sein und etwas Dünnes wie einen Draht wieder unsichtbar machen. Hier muss eine LSKK also auch die Transferleistung erbringen, dass möglicherweise noch ein Draht vorhanden sein könnte, wo sie keinen sieht. Die LSKK verlässt sich beim Röntgencheck also nicht auf das Bild, welches mittels der Strahlung von dem „realen“ Gegenstand erzeugt wurde, vielmehr interpretiert sie.
Das Gewissen als Maßgabe
Die genaue und gewissenhafte Interpretation der LSKK ist unglaublich wichtig. Sie muss die einzelnen Elemente einer möglichen Bombe erkennen und zusammendenken können. Sprengstoff alleine macht noch keine Bombe. „Da geht’s wie gesagt [danach], seh ich darauf ne Masse, die Sprengstoff sein könnte, seh ich n Zünder dazu, seh ich nen Auslöser, seh ich irgendwas, was das Ganze dann eben auch verbindet, das sind so diese charakteristischen Punkte, wo die LSKK draufguckt,“ erklärt Beate Lang. Die Mitarbeiter_innen „dürfen sich keinen einzigen Fehler erlauben“ und bei ihrer Interpretation nicht falsch liegen. Die Erwartungen an sie sind also enorm.
Um eine maximal mögliche Sicherheit herzustellen, appelliert die Vorgesetzte der LSKKs deshalb auch an ihr Gewissen und macht die Überprüfung von Luftfracht zur ethischen Aufgabe:
„Also prinzipiell sag ich meinen Mitarbeitern immer, sie sollen so kontrollieren, dass sie guten Gewissens sagen können: wenn diese Fracht in nem Flugzeug drin ist, wo meine Familie drinsitzt und ich hab sie freigegeben, dann kann ich sie guten Gewissens fliegen lassen. [...] [W]enn jeder für sich entscheidet, da habe ich ein gutes Gefühl dabei, wenn ich die Fracht jetzt freigebe, dann sind wir schon, also wirklich so weit, wie es irgendwie geht.“
Das Gewissen ist bei der Arbeit der LSKKs also die Maßgabe, an der sie sich orientieren sollen, um zu entscheiden, ob Luftfracht „sicher“ ist oder möglicherweise eine Gefahr darstellt. „Ich glaube, mehr kann man einem Mitarbeiter gar nicht mitgeben, als dass man ihm sagt: also im Zweifelsfall sitzen alle, die du liebst, da in diesem Flugzeug mit drin. Wenn du die gerne fliegen lassen möchtest, dann haben wir eigentlich alles getan“, so Lang.
Bauchgefühle
Gewissen hin oder her – mit welchen Mitteln aber kann die LSKK schließlich entscheiden: Die Fracht ist sicher, hierfür gebe ich meinen Stempel auf den Luftfrachtbrief? Kommen wir zunächst zu dem Computerdrucker und der Paketbombe aus dem Jemen zurück. Grundlage für die Entscheidung über die (Un-)gefährlichkeit eines Pakets durch die LSKK ist das Bild, welches von dem Röntgengerät auf dem Bildschirm produziert wird. Im Fall der Bombe aus dem Jemen zeigte das Röntgenbild einen Computerdrucker und nicht etwa einen möglichen Sprengkörper, weil Sprengstoff und andere Bestandteile der Bombe unauffällig in den Drucker eingebaut waren und wie Bauteile dieses aussahen. Es waren „Profis“ am Werk. Die LSKK kann in einem solchen Fall keine Gefahr sehen bzw. interpretieren, der Inhalt des Paketstücks bleibt visuell gesehen ein Computerdrucker. Hier zeigen sich die Begrenzungen der visuellen Überprüfung von Fracht. Ein anderer Sensor ist dann gefragt – das Bauchgefühl. Beate Lang erläutert:
„Also dann ist auch teilweise wieder das Bauchgefühl einer LSKK vielleicht gefragt, dass man dann sagt: ‚ok irgendwie, ich schau mir das Päckchen an’ und – hat man ja auch oft, dass man sagt: ‚irgendwie hab ich ein schlechtes Gefühl dabei’ – und auch wenn ich auf dem Röntgengerät dann alles als ok empfinde, ich hab trotzdem noch ein schlechtes Gefühl dabei und sag, ich mach jetzt trotzdem noch eine zweite Kontrolle dazu.“
Diese „Sicherheitslücke“, der Moment, indem das Röntgengerät an seine Grenzen stößt und ein Objekt nicht mehr so gut visualisieren kann, dass es als Gefahr interpretiert werden kann, soll also mithilfe eines „Gespürs“, eines „Gefühls“ der LSKK geschlossen werden. Der Technik kann und darf hier nicht blind vertraut werden. Vielmehr wird den Beschäftigten ein spezifisches Gespür abverlangt, mit dem sie den Moment des Scheiterns der Technik erkennen können. „Sicherheit“ hängt dann also vom Bauchgefühl ab.
Die Röntgen-Technik erleichtert somit die Arbeit der LSKKs, doch ist sie weder unfehlbar, noch unhinterfragbar und muss daher immer – und übrigens genauso wie die Treffer des Compliance Checks - von den menschlichen Akteur_innen kritisch beäugt und interpretiert werden. Die Röntgen-Technik dient nicht nur der Verbesserung der Kontrollen der Luftfracht und somit der Herstellung eines „sichereren“ Luftverkehrs, sondern ist vielmehr auch wirtschaftlich sinnvoll: Durch den Einsatz von Röntgengeräten wird die Überprüfung eines Packstücks auf wenige Sekunden reduziert, falls nichts Verdächtiges von der LSKK festgestellt wird. Das manuelle Öffnen jedes Frachtstücks würde nicht nur um ein vielfaches länger dauern, es würden auch zusätzliche Kosten entstehen, da das Verpackungsmaterial möglicherweise erneuert werden müsste. Auch Sprengstoffkontrollen nehmen nicht viel Zeit in Anspruch. Dennoch werden sie nicht bei jedem Frachtstück durchgeführt. Und dies obwohl Sprengstoff bereits in kleinsten Mengen von dem Sprengstoffdetektionsgerät erkannt wird. Eine Mitarbeiterin von SecTester erklärt, dass es nahezu unmöglich ist, Sprengstoff so zu verpacken, dass es bei der Kontrolle nicht erkannt werden würde:
„Wenn man TNT oder Sprengstoffe geruchsneutral verpacken möchte, dann muss das in einem luftdichten Raum passieren, derjenige, der das anfasst, muss auch abgepackt sein, sodass keine Spuren außen rum oder am Verschluss oder so sein könnten.“
Warum sind also Sprengstoffkontrollen nicht das „erste Mittel“, das in der Kontrolle eingesetzt wird, wenn, wie bereits oben erwähnt, das Bombenpaket aus dem Jemen bei einer Sprengstoffspurendetektion erkannt werden hätte können?
Hier ist wiederum die Wirtschaftlichkeit ausschlaggebend: Während die Röntgenkontrolle „ein paar Cent pro Kilo, also gar nichts“ kostet, so ein Mitarbeiter von LogFreight, ist die Sprengstoffspurendetektion „relativ teuer“. Folglich ist der Kostenfaktor dafür ausschlaggeben, dass zuerst per Röntgen und dann auf Sprengstoff getestet wird – und letzteres auch nur wenn ein Verdacht vorliegt.
Sprengstoffspurendetektion
„[...] das machst du eigentlich nur, wenn das X-Ray [Röntgengerät] halt auch nicht funktioniert“6
Mittlerweile dürften die Wischproben, mit denen kleinste Mengen an Sprengstoff nachgewiesen werden können, auch aus den Passagier_innenschleusen an Flughäfen bekannt sein. Während bei den Passagier_innenkontrollen in der Regel ein Zufallsgenerator über die Durchführung eines Sprengstofftests entscheidet (ausgenommen sind z.B. Rollstühle, die immer getestet werden müssen), werden diese in der Überprüfung von Luftfracht bei SecTester nur eingesetzt, wenn die Röntgen Überprüfung nicht möglich war oder dabei eine mögliche Gefahrenquelle gefunden wurde. Die Entscheidung trifft dabei immer die LSKK, die am Röntgengerät sitzt. Um die 75 Sprengstofftests werden bei SecTester täglich durchgeführt. Dazu wird ein Wattepad ähnliches Stückchen Stoff auf einen Stab gesteckt, mit dem man über die Oberfläche des zu kontrollierenden Objekts wischt. Dieser Aufsatz wird im Anschluss in das Sprengstoffprüfgerät, bei SecTester ein IScann500DT der Firma Smiths Heimann, gesteckt. Das Gerät steht in einem kleinen rollbaren Schrank mit eingebauter Belüftung, um es vor Staub und Schmutz sowie vor Überhitzung zu schützen. Nun wertet der IScann500DT die Probe aus. Nach einigen Sekunden wird ein Kassenzettelgroßes Stück Papier aus dem zugehörigen Drucker gedruckt. Mit dem Status „pass“ gibt das Gerät die Luftfracht als ungefährlich frei. Bei „alarm“ wurde Sprengstoff gefunden, die Luftfracht ist unsicher. Auf dem Zettel werden die gefundenen Sprengstoffarten aufgelistet. Da Sprengstoff von menschlichen Sinnen nicht in diesen Mengen feststellbar ist, übernimmt hier das Gerät das Sichtbarmachen von Sprengstoff und die Entscheidung, ob von dem Frachtstück eine Gefahr ausgeht. Allerdings funktioniert auch hier die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine nicht ohne ein spezifisches Misstrauen in die Technik: auch das Sprengstoffprüfgerät ist fehlbar. Eine LSKK erläutert:
„Manchmal haben wir zum Beispiel auch viele schwere Sachen wie einen Anker oder Baumaschinenteile, die sind mit Öl eingeschmiert also mit Antikorrision oder irgendsowas, die schlagen auch manchmal aus. Dann lassen wir die Verpackung offen zum ausdünsten von dem Ganzen, dann [wird] nochmal ... an anderen Stellen nochmal ETD Sprengstofftest gemacht. Und wenn es dann nochmal ausschlagen würde, kommt die Bundespolizei mit Hund dazu.“
Wieder ist es der Mensch, die LSKK, die die Situation richtig einschätzen kann und muss und zwischen „wirklichen“ und „nicht-wirklichen“ Treffern unterscheiden kann. Fehlbar ist der IScann500DT auch, weil er sehr anfällig gegenüber Hitze und Kälte ist, sodass er im Sommer und Winter an Messschärfe verlieren kann und so nicht mehr in der Lage ist, seiner Aufgabe vertrauenswürdig nachzugehen. Deshalb steht das Gerät nicht nur in einem mit Ventilator ausgestatteten Schränkchen, sondern muss täglich von den Mitarbeiter_innen auf seine Funktionstüchtigkeit getestet und regelmäßig gewartet werden.
Mit einem Gerät, das sowohl die Röntgenkontrolle als auch die Sprengstoffspurendetektion in einem integriert hätte, wäre der Computerdrucker aus dem Jemen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Paketbombe identifiziert worden, nimmt die Sicherheitsbeauftragte Beate Lang an. Allerdings wären auch hier die Eigenschaften der menschlichen Akteure gefragt, um die von dem Gerät angezeigte „Gefahr“ als „wirkliche“ zu identifizieren. Sicherheit bleibt damit so oder so eine Frage der Interpretation und Einschätzung.
Libuše Vepřek
Hier gehts weiter zu Teil 4: Fazit: Von "sicherer" und "unsicherer" Luftfracht
Literatur
1 Vgl. AFP; Reuters; dpa (Hg.) (2010): Bombenpaket landete auch in Deutschland. (weiterlesen)
2 Vgl. ebd. (weiterlesen)
3 Vgl. ebd. (weiterlesen)
4 Die Namen der Interviewpartner_innen sowie der Spedition und des Dienstleistungsunternehmens wurden anonymisiert. (weiterlesen)
5 Vgl. ebd. (weiterlesen)
6 So eine Mitarbeiterin von SecTester. (weiterlesen)