Sicherheitswacht = Bürgerwehr?
Im Laufe meiner Forschung wurde ich häufig mit Nachfragen konfrontiert, die es für mich notwendig gemacht haben, den Unterschied zwischen der Sicherheitswacht und einer Bürgerwehr zu verdeutlichen. Da diese Assoziation auch das Erste war, was mir bei dieser Thematik in den Sinn kam, möchte ich die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Sicherheitswacht und Bürgerwehr im Folgenden klären.
Medial wie gesamtgesellschaftlich wird die ‚Sicherheitswacht’ häufig mit einem Zusammenschluss verglichen, der 2015/ 2016 einen erneuten (v.a. auch medialen) Aufschwung erhielt – mit der Bürgerwehr. Unter einer Bürgerwehr versteht man einen willkürlichen Zusammenschluss von Bürgern, die Selbstjustiz üben. Vor allem Bürgerwehren, beziehungsweise die dahinterstehenden Gruppierungen, haben ihre Notwendigkeit 2015 mit der sogenannten ‚Flüchtlingskrise’ begründet, also eine „moral panic“ evoziert, der sie durch Patrouillen begegnen können. So werden beispielsweise auf den ‚Patrouillen’ von Bürgerwehren häufig Flüchtlingsheime aufgesucht (link funktioniert nicht) oder gar Gewalttaten an den „gefährlichen“ Migranten ausgeübt.
Ihren Ursprung hatten Zusammenschlüsse wie Sicherheitswacht und Bürgerwehr im 19. Jahrhundert. Damals existierte eine militärische Institution namens ‚Bürgergarde', die für die Sicherung der Stadt zuständig war. Ein Charakteristikum dieser Bürgergarden war, dass sie sich für die Bürger einsetzten und so einige Revolten anzettelten. Auch heute organisieren sich Bürgerwehren, um aufzuzeigen, dass sie mit dem Staat unzufrieden sind und dieser es ihrer Meinung nach nicht schafft, für Recht und Ordnung zu sorgen. Häufig bilden sich Bürgerwehren spontan auf Demonstrationen. Wie viele solche Organisationen es tatsächlich gibt, ist schwer nachzuvollziehen, da sich Bürgerwehren immer häufiger auch über das Internet, insbesondere über Facebook, organisieren. Ein erschreckendes Beispiel ist hier die Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Deutschland“, welche explizit ihren rechtsextremen Hintergrund zur Schau stellt. Es wird rechtes Gedankengut verbreitet, die User bekräftigen sich gegenseitig in ihren Vorstellungen und Gedanken. Ein weiteres Merkmal sind die Gefahren, die dabei bekämpft werden sollen: Meist handelt es sich um Überfälle und Übergriffe. Vorfälle wie die Silvesternacht 2015/2016 wurden von rechten Gruppierungen als Vorwand für solche Zusammenschlüsse zu Bürgerwachten hergenommen und sollen dadurch verhindert werden.
Hier wird ein gemeinsames Feindbild geschaffen, das höchst rassistisch motiviert ist. Diese Bürgerwehren reklamieren, auf ‚ihren Ort, ihr Viertel’ aufzupassen und diese ‚Aufgabe’ zum ‚Wohl aller’ zu erledigen. Dabei patrouillieren sie durch, ihrer Ansicht nach gefährliche, Gegenden, nehmen illegalerweise die Personalien ‚verdächtiger’ Bürger auf und hetzen nicht selten gegen diese. Auch Gewalttaten durch Bürgerwehren sind keine Seltenheit. Ein schockierendes Beispiel ist hier der Angriff vierer Männer auf einen psychisch kranken Asylbewerber in Arnsdorf. Der Mann war in einem Supermarkt in eine Diskussion mit der Kassiererin verwickelt, als vier Männer den Laden betraten, den Mann gewaltvoll herauszerrten und an einen Baum banden, bis die Polizei kam. Solche Exzesse und Selbstjustiz werden damit gerechtfertigt, dass der Staat die Bürger angeblich nicht mehr beschützen könne.
Da 2016 in Neuhausen-Nymphenburg eine Sicherheitswacht zur Wiederherstellung der subjektiven Sicherheit eingeführt wurde, wurde häufig vermutet, dass es dabei vor allem um ‚Schutz vor Flüchtlingen’ gehe. Im Gegensatz zu einer Bürgerwehr ist eine Sicherheitswacht kein willkürlicher Zusammenschluss mit der Absicht der Selbstjustiz, sondern ein von Stadt und Polizei eingesetztes Hilfsmittel. Sicherheitswachten gibt es in Bayern seit dem Jahr 1994. Sie haben das Ziel, Sicherheit und Ordnung verstärkt zur Aufgabe von Bürger_innen zu machen. So soll das Verantwortungsbewusstsein der Bürger_innen gestärkt und der ‚Unkultur des Wegschauens’ entgegengewirkt werden. Damit wird hier eine Stärkung der polizeilichen, kontrollierenden Logik in der Zivilgesellschaft betont. Bürger_innen kontrollieren hier Bürger_innen und werden so zu den Augen und Ohren der Polizei. Entsprechend werden im Rahmen der Sicherheitswacht Freiwillige von der Polizei angeworben, um die subjektive Sicherheit in verschiedenen Stadtvierteln wieder herzustellen:
Nach einem umfangreichen Hintergrundcheck müssen die Anwärter 40 Unterrichtsstunden ableisten, die mit einer Prüfung abgeschlossen werden. In diesen 40 Stunden werden sie in erster Linie über die Rechtslage, die polizeilichen Strukturen und die Befugnisse einer Sicherheitswacht unterrichtet.
Einige Gemeinsamkeiten kann man diesen beiden Zusammenschlüssen, den Bürgerwehren und Sicherheitswachten, folglich nicht absprechen. So wollen beide auf ihre Weise für ‚Ordnung sorgen’, patrouillieren durch bestimmte Gegenden und sind der Meinung, etwas für das Gemeinwohl zu tun. Dadurch erzeugen beide Zusammenschlüsse ein Zugehörigkeitsgefühl – von dem sie allerdings auch ‚nicht-zugehörige’ Personen ausschließen. Im Gegensatz zur Bürgerwehr liegt es der Idee einer Sicherheitswacht jedoch fern, Gewalt anzuwenden. Sie verfügen im Gegensatz zu echten Polizist_innen lediglich über das Jedermannsrecht und dürfen somit einen ‚Täter_innen’ festhalten, bis die Polizei eintrifft. Weiter können sie verdächtige Personen anhalten, befragen und deren Personalien aufnehmen. In gefährlichen Situationen darf auch ein Platzverweis gegenüber den Gefährdern ausgesprochen werden. Jedoch wird betont, dass in der Regel immer zuerst die Polizei informiert werden soll. Dem Gegenüber stellt eine Bürgerwehr geradezu eine Ausrede oder einen Anlass dar, um gewalttätig werden zu dürfen. Herr Rothdauscher von der Polizei München betont, dass es sogar stabilisierend wirken würde, dass die Sicherheitswacht nicht bewaffnet sei. Allerdings trägt sie eine eigene Uniform. Ein Mensch in Uniform löse bei den Bürger_innen den Gedanken „Der hilft mir“ aus, so Rothdauscher. Die Dosierung, die Aufmachung und das Tätigkeitsfeld wirken somit aus polizeilicher Sicht nicht furchteinflößend. So soll eine Sicherheitswacht vielmehr ein Bindeglied zwischen Bürger_innen und Polizei sein. „Hinschauen statt Wegschauen“ oder Sicherheitswacht als „wandelnde Notrufsäule“ und „verlängerte Arme und Ohren der Polizei“ sind Ausdrücke, die in dem Zusammenhang immer wieder fallen. Natürlich sind einige Parallelen nicht von der Hand zu weisen, jedoch unterscheiden sich die Motive und Ziele. Allerdings ist der Name ‚Sicherheitswacht’ wie auch das Alltagswissen über solche Institutionen manchmal irreführend, was zu falschen Assoziationen und ablehnendem Verhalten gegenüber der Sicherheitswacht führen kann.
Alessa Füger